Volker Hofmann, Healthcare Sales Director bei InterSystems, erläutert im Gespräch mit Cornelia Wels-Maug, Analystin Gesundheits-IT, die Kräfte, die zu einem tiefgreifenden Wandel der traditionellen, hauptsächlich auf der physischen Begegnung eines Patienten mit einer medizinischen Fachkraft beruhenden Gesundheitsversorgung führen. Dabei handelt es sich um den wirtschaftlichen Druck, eine kosteneffiziente Versorgung bereitzustellen und um das Drängen der Verbraucher, einen kundenfreundlichen, flexibleren Zugang zur medizinischen Versorgung sowie zu präventiven Instrumenten zu erhalten. Hierbei spielt der Einsatz moderner Technologie eine zentrale Rolle, dies zu ermöglichen. Gleichzeitig müssen sich Gesundheitseinrichtungen und Industrie der Frage stellen, wie sie sich in diesem Wandel positionieren und welche Art medizinischer Versorgung sie bereitstellen bzw. unterstützen wollen.
Welche Veränderungen im Gesundheitsmarkt nehmen Sie wahr?
Hofmann: Das Gesundheitswesen ist im Umbruch. Die traditionelle Gesundheitsversorgung, die aus dem physischen Zusammentreffen eines Patienten mit einer Ärztin oder Arzt besteht, ist mittlerweile nur eine, wenn auch wichtige Form der medizinischen Versorgung. Die Digitalisierung eröffnet neue Wege und hat dadurch eine Ära einer modernen, flexiblen und innovativen Gesundheitsversorgung eingeleitet, die sich beispielsweise in der Entwicklung der digitalen Apps (DiGAs) auf Rezept, die dieser Tage ihr zweijähriges Bestehen feiern, manifestiert. Insbesondere die Pandemie hat uns als Branche aufgeweckt und beispielsweise die Teilhabe an Videokonferenzen bzw. Telemedizin für eine breitere Öffentlichkeit ermöglicht.
Auf welche Faktoren führen Sie diese Veränderungen zurück?
Hofmann: Es ist das Zusammentreffen dreier Faktoren, die das traditionelle Gesundheitswesen aus den Angeln heben. Dabei handelt es sich um wirtschaftliche Aspekte, Verbraucher und Technologie.
Die Wirtschaft
Aus wirtschaftlicher Sicht betrachtet, ist das Gesundheitswesen weltweit eine 10-Billionen-Euro-Branche, die im Wachsen begriffen ist. Daher ist der Gesundheitsmarkt auch von besonderem Interesse für Risikokapitalgeber, deren durchschnittliche Investitionsrate im Gesundheitssektor fünfmal höher als die durchschnittliche Investitionsrate über alle Branchen hinweg ist. Angesichts der beschränkten personellen und finanziellen Ressourcen im Gesundheitswesen, insbesondere aufgrund einer alternden Bevölkerung mit komplexen und oft multiplen chronischen Erkrankungen, ist der Markt auf innovative, kostengünstige Lösungen angewiesen, um eine qualitativ hochwertige Versorgung zu gewähren. Dabei werden die ohnehin geringen Margen im Gesundheitswesen insbesondere durch Inflation, Lieferengpässe und Personalknappheit ausgehöhlt, sodass Gesundheitseinrichtungen versuchen, die Kosten auf Patienten und Patientinnen abzuwälzen.
Der Verbraucher
Der meiner Ansicht nach spannendste Bereich ist der Verbraucher. Hier herrscht eine große Dynamik. Die positiven Erfahrungen in puncto Kundenfreundlichkeit, die Verbraucher beispielsweise vom Online-Banking oder -Shopping her kennen, fordern sie nun zunehmend auch für die eigene medizinische Versorgung ein. Aus meinen Gesprächen mit Vertretern des Gesundheitswesens in verschiedenen Ländern weiß ich, dass der Einsatz von Virtual Reality und Chatbots vielerorts mittlerweile Teil der medizinischen Versorgung geworden ist und viele über die Errichtung einer digitalen Eingangstür bzw. eines virtuellen Zugangs nachdenken. Letzteres eröffnet die Möglichkeit eines breit angelegten, ortsunabhängigen und kontinuierlichen Austausches zwischen Gesundheitsversorgern und Patienten, sodass auch schneller präventive Maßnahmen seitens der Versorger ergriffen werden können. Dadurch können Notfälle reduziert und die Nutzung teurer „physischer“ Eingangsportale der Gesundheitseinrichtungen verringert werden.
Die Technologie
Der engere Austausch zwischen Gesundheitsdienstleistern und Verbrauchern wird durch den Einsatz von Technologie ermöglicht. Und auch in diesem Bereich können wir einen Wandel beobachten. In den vergangenen Jahrzehnten ging der technische Fortschritt mit einer engeren Anbindung der Verbraucher an die Krankenhausversorgung einher: Wir haben dies am Beispiel des Ausbaus von Intensivstationen u. a. für Neugeborene und kardiologische Notfälle sowie der Einführung umfangreicher Bildgebungssysteme beobachten können.
Jetzt gelingt es uns, mithilfe von Technologie, die medizinische Versorgung z. T. aus dem Krankenhaus hinaus und an einen Ort unserer Wahl zu bringen, denn mit Telemedizin, Fernüberwachung und Gesundheits-Apps ist dies keine Zukunftsmusik mehr. Im Jahr 2022 werden Verbraucher schätzungsweise 320 Millionen Wearables kaufen. In Verbindung mit der breitflächigen Internetdurchdringung ist es jetzt möglich, Patienten und Patientinnen in den eigenen vier Wänden kontinuierlich zu monitoren. Künstliche Intelligenz und Machine Learning versprechen langfristig extrem nützliche Entscheidungshilfen im Gesundheitswesen zu sein und Chatbots, KI und Virtual-Reality-Therapien erhalten jetzt FDA- und EU-Zulassungen.
Diese Kräfte sind die Grundlage einer neuen Gesundheitsversorgung, die digitaler, flexibler und wesentlich mehr Omni-Channel sein wird als bislang. In dieser Spanne zwischen traditioneller und neuer Gesundheitsversorgung müssen sich sowohl die Leistungserbringer als auch die Industrie neu ausrichten und ihre Rolle, die sie innerhalb dieses Wandels einnehmen möchten, bestimmen. Sie müssen sich insbesondere mit den Fragen „Wie will ich mich als Versorger darstellen?“, „Welche Erfahrungen wollen wir unseren Kunden bzw. Patientinnen ermöglichen?“, „Wie möchten wir in sozialen Medien auftreten?“ oder „Welche neuen Ansätze möchten wir implementieren?“ auseinandersetzen.
Wie stellt sich InterSystem auf, um Gesundheitseinrichtungen zu unterstützen, zukunftsfähig zu bleiben?
Hofmann: InterSystems setzt auf fünf Bereiche mit denen wir die jeweiligen Marktteilnehmer in ihren Entscheidungen für ein Umdenken unterstützen. Dies sind Interoperabilität, Healthy Data, die Gewinnung von Erkenntnissen, also Analytik, die Ermächtigung zu Innovationen und Skalierbarkeit.
Interoperabilität ist angesichts der vielen dezentralen Systeme essenziell. Ein freier Informationsfluss zwischen allen Beteiligten ist absolut unerlässlich, da sonst die Gefahr einer weiteren Fragmentierung besteht.
Wir unterstützen Gesundheitseinrichtungen mit der Fähigkeit, „gesunde“ Daten auszutauschen. Es stehen mittlerweile Daten von Millionen Patienten zur Verfügung und die Nutzung dieser digitalen Daten im Gesundheitswesen erlangt zunehmend Bedeutung. Es gibt so viele neue Anwendungsfälle, die wir z. B. für neue Arten der Forschung, der öffentlichen Gesundheit, Population Health und der Erstellung von Modellen für maschinelles Lernen auf der Grundlage aggregierter Daten umsetzen können.
Weiterhin können mittels KI- und ML-basierter Analysen neue Erkenntnisse aus diesen Daten gewonnen werden. Es ist extrem wichtig, unsere Erkenntnisse in den Arbeitsablauf der Benutzer am Punkt der Entscheidung verfügbar zu machen. Und zwar nicht nur sieben Klicks entfernt, sondern genau dann, wenn sie Entscheidungen treffen müssen. Allzu leicht können sonst die eigentlich zur Verfügung stehenden Informationen in einer großen, schwer zu navigierenden Ansammlung verloren gehen.
Gesundheitseinrichtungen müssen schnell auf Veränderungen am Markt reagieren. Die Unterstützung von Unternehmen, die agil sein müssen, ist uns deshalb ebenfalls wichtig. Wir haben bestimmte Lösungen, wie unsere InterSystems HealthShare Plattform, bei denen unsere Kunden die Vorteile einer Full-Stack-Anwendung nutzen können. Aber wir verfügen auch über die weltweit beste Entwicklungsplattform ( InterSystems IRIS for Health), sodass die Kunden das, was sie von uns bekommen, nutzen und darauf Innovationen aufbauen können, um eine neue und einzigartige Stellung in ihrem Markt zu erlangen.
Und schließlich ermöglichen wir unseren Kunden durch die Skalierbarkeit unserer Lösungen, egal ob Start-up oder ein großes multinationales Unternehmen, ihre Angebote und Produkte so zu skalieren, wie sie es brauchen. Dies war beispielsweise bei Epic der Fall, einem Kunden, den wir auf seiner Entwicklung von einem Start-up bis hin zu einem der weltweit großen KIS-Hersteller begleitet haben oder auch bei Gesundheitseinrichtungen, die zunächst unsere Integrationslösung HealthShare Health Connect einsetzten, und nun mit dem HealthShare Unified Care Record eine umfassende interoperable Vernetzungsplattform aufbauen.