Jahrzehnte hindurch hinkte bei der Digitalisierung das Gesundheitswesen hinter anderen Branchen her. Dann stärkten KRITIS und DSGVO das Vertrauen in IT- und Informationssicherheit. COVID-19 brachte einen Aufwind – erleichterte Kommunikation, beschleunigte Prozesse und ortsunabhängige Arbeit erhöhten, und erhöhen weiter, in der Krise die Akzeptanz für IT-Unterstützung. Und jetzt folgt, nach Jahren der Forderungen etwa durch den Verband der Krankenhausdirektoren (VKD), die Investitionsförderung für stationäre Leistungserbringer. Ja, es ist nun die richtige Zeit, die Digitalisierung anzupacken!
Das findet auch Volker Hofmann, Manager of Healthcare bei InterSystems. Er legt Krankenhausentscheidern ans Herz, das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) und sein Förderversprechen zum Anlass für die Entwicklung ihrer Digitalstrategie zu nehmen. Und als engagierter Vertreter eines renommierten Anbieters liefert er im Interview das „Wie“ gleich mit (Interview mit Volker Hofmann, Krankenhaus-IT Journal 6/2020).
Herr Hofmann, die zweite Corona-Welle hält uns im Bann. Mit welchen Angeboten hat sich InterSystems in der Krise engagiert, wie war die Akzeptanz?
Volker Hofmann: Wir haben Kunden in COVID-Hotspots auf der ganzen Welt: New York City, Italien, Wuhan, Südafrika, Südamerika, Paris oder England. Da war Flexibilität und Anpassungsfähigkeit auf Seiten InterSystems gefragt. Bereits im März haben wir in unser klinisches Informationssystem InterSystems TrakCare ein Formular integriert, das die Identifikation von COVID-19-Fällen laut WHO-Vorgaben ermöglicht. Die COVID-19-Klinik des Universitätsklinikums Policlinico Agostino Gemelli in Rom haben wir innerhalb einer Woche mit unserem KIS ausgestattet. Im Mittleren Westen der USA erweiterten wir im April das „Nebraska Health Information Initiative Hub“, das auf InterSystems HealthShare basiert, um ein COVID-19-Dashboard. Mit dem Dashboard können transparent Daten für ein koordiniertes Ausbruchsmanagement zusammengeführt werden, ähnlich wie am Universitätsklinikum Jena. Solche Beispiele zeigen: Integrations- und Dashboard-Projekte lassen sich dank unseres Fokus auf interoperable Patientendaten sehr schnell und unbürokratisch umsetzen – mit großem Praxiserfolg und hoher Akzeptanz. Übrigens: Unsere engagierten Mitarbeiter, darunter Ärzte und Pflegekräfte, haben unter anderem in Italien an Wochenenden ihre früheren Kollegen bei der Versorgung unterstützt. Ich denke, so leistet InterSystems insgesamt einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen das Virus – der sehr gut angenommen wird.
Wo liegen die Schwerpunkte Ihres Unternehmens – über die Pandemie hinaus?
Hofmann: Dem IT-gestützten Management chronischer Erkrankungen gilt unverändert ein Hauptaugenmerk. Im Vergleich mit anderen Ländern ist Deutschland hier noch nicht gut aufgestellt. Die Bedeutung von „digital“ geht in diesem Zusammenhang weit über Telemedizin hinaus: Ein Kernprojekt ist für uns beispielsweise die elektronische Diabetesakte (eDA), die wir mit der Deutschen Diabetes Gesellschaft e.V. (DDG) vorantreiben. Interoperabilität ist hierbei ein erfolgskritisches Thema und steht mit entsprechendem Augenmerk auf der Themenliste. Die DDG definiert Komponenten eines Diabetesdatensatzes, die bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Teil des Prozesses der Medizinischen Informationsobjekte (MIO) werden und so in die elektronische Patientenakte (ePA) der gematik einfließen sollen. Diese Standardisierung ermöglicht vielversprechende Mehrwertanwendungen der eDA, darunter etwa die Unterstützung klinischer Entscheidungen.
Geht es bei der deutschen Diabetesakte um ein Einzelprojekt?
Hofmann: Im Gegenteil! Auch in der Schweiz sind wir an einer Diabetes-Fachakte beteiligt. Solche Fachakten werden in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen – in der Kardiologie, bei der Multiplen Sklerose und weiteren entsprechenden Erkrankungsszenarien. Wir möchten für Fachakten bis zu einem gewissen Grad eine generische Grundlage schaffen, die dann auf die Anforderungen der unterschiedlichen Fachrichtungen angepasst werden kann.
Wo sehen Sie das Nutzenversprechen solcher Fachakten?
Hofmann: Vorteile wie die Optimierung der Kommunikation und des Informationsflusses liegen auf der Hand; der Wertbeitrag geht jedoch deutlich darüber hinaus! Strategische Plattformen ermöglichen das Generieren von Wissen – durch Anwendungen von künstlicher Intelligenz (KI) und maschinellem Lernen (ML). Ich ziehe einen Vergleich: Die Lebenserwartung ist in den letzten 200 Jahren deswegen so stark gestiegen, weil ein Zugang zu sauberem Wasser geschaffen wurde. Den nächsten Evolutionsschritt bei der Bevölkerungsgesundheit bringen das Sammeln und Analysieren „gesunder, sauberer“ Daten: Homogenisierte, bereinigte, qualitätsgesicherte Daten bilden die Voraussetzung für vielfältige Anwendungsfälle und Behandlungsvorteile im Kontext chronischer Erkrankungen.
Weiterhin sind bestimmte Basisfunktionalitäten für die Algorithmenentwicklung erforderlich; hier stehen wir bereit und bieten mit unserer Datenplattform InterSystems IRIS for HealthTM eine Vielzahl an Datenmodellen, Datentypen und Technologien, die die Entwicklung von Algorithmen erleichtern. So erlaubt es eine unserer Technologien im Rahmen von IRIS for Health Entwicklern, Fragestellungen quasi in Freitext zu formulieren und Modelle auf dem realen Datensatz zu testen – etwa: „Wie wahrscheinlich ist eine stationäre Wiederaufnahme innerhalb der nächsten vier Wochen?“ Das ist eine wesentliche Unterstützung.
Unter anderem nutzen wir das Entwicklungs-Framework SMART on FHIR. Darauf basierende Anwendungen lassen sich nahtlos in InterSystems HealthShare® integrieren. All dies zeigt, warum wir unsere Plattformen sozusagen als Grundvoraussetzung für KI und ML betrachten.
Über Jahre hatten führende Vertreter der Krankenhäuser eine Finanzierung der Digitalisierung gefordert. Nun fördert der Bund mit dem milliardenschweren Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) Investitionen der Krankenhäuser in digitale Innovation. Wie spielt das zusammen mit Ihren Angeboten?
Hofmann: Dieses Gesetz ist ein ganz herausragender Schritt! Es gliedert sich ein in den Kanon vielfältiger Maßnahmen aus Berlin, die IT als Möglichmacher einer vernetzten Gesundheitsversorgung mit verbesserter Qualität, höherer Patientensicherheit, optimierter Wirtschaftlichkeit und einer Verzahnung von Versorgung und Forschung einzusetzen. Es ist ein wichtiger Schritt, um Innovationsstaus in den Krankenhäusern aufzulösen. Wenn in Deutschland nur 1,5 bis 2,5 Prozent des Jahresbudgets für IT zur Verfügung gestellt werden können, so war das bisher eine deutliche Begrenzung für notwendige Maßnahmen. Das KHZG stellt Gelder in einer erheblichen Größenordnung zur Förderung in Aussicht. Dies ist äußerst begrüßenswert und wird einen deutlichen Schub bewirken. Da bin ich mir sicher.
Wichtig ist aus unserer Sicht, dass nicht nur Anträge für Softwareprodukte geschrieben werden, die ohnehin schon lange auf der Anschaffungsliste stehen. Das ist ein Teilaspekt, aber darüber hinaus sollte das KHZG der Anlass für strategische Überlegungen sein. Es ist die einmalige Chance, über IT als einen strategischen Enabler für die nächsten Jahre nachzudenken: Was sollte IT für uns als Krankenhaus leisten? Wie kann IT das Krankenhausgeschäft beleben, wie die Qualität und die Patientensicherheit verbessern? Wie halte ich es mit der Verzahnung von Versorgung und Forschung? Das sind Fragen, die jetzt gestellt werden sollten. Dank unserer Plattformtechnologien sind wir bei InterSystems bei vielen dieser Fragen ein naheliegender Ansprechpartner.
Wie wird sich Ihr Unternehmen in diesem Markt weiter positionieren?
Hofmann: Unsere Kompetenz und unser partnerschaftlicher Ansatz bei der Zusammenarbeit haben InterSystems für deutsche Krankenhäuser zum naheliegenden Ansprechpartner gemacht. Daher setzt sich unser Wachstumskurs im Healthcare-Bereich in diesem Jahr fort und wir haben uns bereits entsprechend personell verstärkt. Neben dem Gesundheitswesen haben wir als Technologieanbieter aber auch weitere interessante Marktsegmente im Fokus. Wir investieren aktuell auch in die Segmente „Finanzdienstleistungen“ und „Internet of Things“ und stellen hierfür neue Mitarbeiter ein. Der Bedarf und die grundlegenden Themen sind auch in diesen Bereichen ähnlich gelagert wie im Gesundheitswesen. Banken und andere Unternehmen im Finanzsektor stehen vor identischen Herausforderungen hinsichtlich Interoperabilität, durchgängiger Prozesse und gesunder Daten. So lassen sich im Querschnitt Synergien erwirken.