Täglich werden im gesamten Gesundheitssystem Unmengen von Daten unterschiedlichster Formate generiert. Um diese Daten überhaupt verwertbar und aussagefähig zu machen, bedarf es vieler und komplexer Verarbeitungsschritte. Volker Hofmann, InterSystems Manager Gesundheitswesen DACH, legt im Gespräch mit Cornelia Wels-Maug, Analystin Gesundheits-IT, dar, warum es „gesunder“ Daten bedarf, um die Patientenversorgung zu verbessern und Innovation und Forschungsoutput voranzubringen.
Cornelia Wels-Maug im Interview mit Volker Hofmann
Wels-Maug: Herr Hofmann, Sie sehen die digitale Gesundheit als den nächsten Quantensprung für eine bessere medizinische Versorgung. Welche Herausforderungen an die Daten stellen sich dabei?
Hofmann: Digitale Gesundheit wird von einer Vielzahl verschiedener Daten angetrieben. Aber das Datenangebot ist lückenhaft und nicht direkt verwertbar. Zum Teil liegt dies daran, dass unser Gesundheitsökosystem und die dort generierten Informationen fragmentiert sind, sodass kein Leistungserbringer eine umfassende Sicht auf einen Patienten hat. Alle Stakeholder produzieren eine unglaubliche Vielfalt an Datentypen in jedem erdenklichen strukturierten und unstrukturierten Format, die dann mit einer verwirrenden Anzahl von Standards und Regeln verwaltet werden.
Es ist ausserordentlich schwierig, diese Daten zu normalisieren und auszurichten. Hält man sich dann vor Augen, dass Genomik und Präzisionsmedizin das Datenwachstum antreiben und weltweit die Gesundheitsdaten schätzungsweise jährlich zwischen 1,2 und 1,4 Exabyte zunehmen, dann erahnt man den Umfang der Aufgabe, diese Daten verwertbar zu machen.
Wels-Maug: Um diese Datenflut überhaupt managen zu können, sprechen Sie oft von „Healthy Data“. Was sind „Healthy Data“?
Hofmann: Ich möchte gerne einen Vergleich ziehen. Was hat die Verdoppelung der Lebenserwartung in den letzten 200 Jahren angetrieben? – Nun, die Ergebnisse einer Studie zeigen, dass Erwachsene in den USA 80 % der Verbesserung der Lebenserwartung seit Mitte des 19. Jahrhunderts der modernen Medizin zuschreiben. Tatsächlich aber ist der grösste Teil davon auf Investitionen in Dinge wie sauberes Wasser und sanitäre Einrichtungen zurückzuführen.
Wir glauben, wie erwähnt, dass der nächste Quantensprung für eine Verbesserung der medizinischen Versorgung die digitale Gesundheit sein wird. – Und die wird zunächst mal von einer Vielzahl verschiedener Daten sprich Information angetrieben.
Mit der Zunahme der Gesundheitsdaten steigen auch die Erwartungen an datengesteuertes Management und Innovation exponentiell an. Aber in den meisten Fällen werden sie nicht erfüllt, da keine „sauberen“ Daten vorliegen. Denn ohne „saubere“ Daten – sprich Healthy Data - können die nachgelagerten Verbesserungspotenziale, wenn überhaupt, nur mit sehr viel Zusatzaufwand gehoben werden.
Man muss die Daten an der Quelle erfassen und anschliessend aggregieren, managen, normalisieren und vernünftig bereitstellen. Genau das ermöglichen wir bei InterSystems mittels unserer Gesundheitsinformationssysteme inklusive dem InterSystems HealthShare Unified Care Record. Dadurch können Gesundheitsdaten in einem einheitlichen Datenmodell aggregiert werden, sodass Analytikfunktionen zur Auswertung dieser Daten aufgesetzt werden können und man weitere Lösungsbausteine – zum Beispiel zur Visualisierung von Daten und einrichtungs- bzw. abteilungsübergreifenden Abläufen – realisieren kann.
Dabei sind die Integrationsmöglichkeiten von vielen Formaten, Standards und Quellsystemen ebenso relevante Erfolgsfaktoren, wie die Automatisierung bei der De-Duplizierung und die Einbindung von KI/ML-Verfahren zur Erzeugung neuen Wissens auf Basis der vorhandenen Informationen.
Wels-Maug: Können Sie einige Beispiele nennen, wo und mit welchem Erfolg „Healthy Data“ bereits eingesetzt werden?
Hofmann: Grundsätzlich stellen wir unseren Ansatz „Healthy Data“ für den gesamten Gesundheitsmarkt zur Verfügung: Versorger und Labore als primäre Erheber klinischer Daten sind eine vorrangige Zielgruppe. Aber „Healthy Data“ spielen ebenso für Versicherer und Softwarehersteller sowie in zunehmendem Masse für übergreifende regionale Netzwerke, Life Sciences und Medizintechnikfirmen eine wichtige Rolle.
Epic, einer der weltweit grössten KIS-Anbieter, verwendet unsere Datenplattform InterSystems IRIS. Der schottische NHS und die US Veterans Administration vertrauen InterSystems zur Bereitstellung einheitlicher Patientendaten. Roche Diagnostics entwickelt vernetzte Gesundheitslösungen auf Basis unserer standardisierten Interoperabilität und Tricore Reference Labs arbeiten mit InterSystems Lösungen, um gesunde Daten für die biowissenschaftliche Forschung bereitzustellen.
Northwell Health, eines der grössten privaten Gesundheitssysteme der USA, hat eine einheitliche, auf InterSystems Technologie basierende E-Health-Plattform mit aggregierter Datenbank aus normalisierten und „gesunden“ Daten eingeführt, um die 11 Millionen Menschen in seinem Einzugsgebiet effizienter managen zu können. Die Ergebnisse sprechen für sich: Neben reduziertem Infektionsrisiko und höherer Patientenzufriedenheit sanken die Wiederaufnahmen für Patienten mit Herzklappenersatz um ca. 6 % und bis zu 28 % mehr Patienten konnten nach Hause statt in eine qualifizierte Pflegeeinrichtung entlassen werden. Die Inanspruchnahme der von Northwell Health angebotenen qualitativ besseren häuslichen Pflege nahm insgesamt um 56 % zu.
Wels-Maug: Gibt es auch schon Beispiele aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz?
Hofmann: Auch in der DACH-Region sind wir umfassend aktiv. Zu unseren Kunden zählen diverse Universitätskliniken, die Sana Kliniken, die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. oder die Schweizer Ofac, die als sogenannte Stammgemeinschaft den Schweizer Bürgern ein gesetzliches Elektronisches Patientendossier (EPD) zur Verfügung stellt. Ein gutes Beispiel für „Healthy Data“ ist unsere Arbeit im Smith Konsortium der Medizininformatik-Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Unsere HealthShare Lösungen in Verbindung mit unserer InterSystems Iris for Health Plattformtechnologie ermöglichen, dass die Daten aus den verschiedensten Primärsystemen der neun in diesem Konsortium partizipierenden deutschen Unikliniken in einem neu aufzubauenden Datenintegrationszentrum normalisiert und aggregiert werden können. Dadurch wird eine verlässliche Datenbasis für die klinische und pharmazeutische Forschung übergeordnet verfügbar gemacht.
Wels-Maug: Sie haben mir vorab eine Abbildung der Architektur des Datenintegrationszentrums gezeigt. Man könnte sie als komplex, durchaus aber auch als verwirrend bezeichnen, denn die Menge an Faktoren und das Gewirr an Interdependenzen ist beträchtlich. Wie stemmen Sie das?
Hofmann: Zugegeben, das Bild kann auf den ersten Blick etwas abschrecken. Es verdeutlicht aber nur die zahlreichen logischen Bausteine, wie Contentmanagement oder Zugriffsregeln, die alle in der Architektur berücksichtigt werden müssen. InterSystems ist seit 40 Jahren im Gesundheitswesen tätig, wir kennen diese Bausteine sowie den Umgang mit Gesundheitsdaten: Big Data war für uns schon ein Thema, als es noch gar nicht als solches ausgesprochen wurde.
Heute werden mehr als eine Milliarde Patientendossiers mit auf unserer Technologie basierenden Lösungen verwaltet. Dadurch kennen wir die Anforderungen im Gesundheitswesen, Informationen ausfallsicher, skalierbar, performant und belastbar zu managen. Das ist umso wichtiger im Gesundheitswesen, wo es am Ende um Menschenleben geht.
Der Interview ist zuerst in der Clinicum 5-2020 erschienen.
Autorin: Cornelia Wels-Maug
Cornelia Wels-Maug ist über 25 Jahre im IT-Sektor tätig und hat sich seit 2008 auf den Einsatz von IT im internationalen Gesundheitsmarkt spezialisiert. Sie verfasst Artikel, Fallstudien, Marketingunterlagen und Weißbücher über den weltweiten Markt für IT im Gesundheitswesen und hält Vorträge und Webinare als freie Journalistin. Gleichzeitig ist Cornelia seit 2016 auch als Analystin für den internationalen Gesundheitsmarkt bei der englischen Firma CCS Insight tätig. Zuvor arbeitete sie für Ovum Ltd., Mentis Corp. (jetzt Gartner Inc.) und BIS Strategic Decisions Ltd.
Cornelia ist Diplom-Volkswirtin und studierte an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/cornelia-wels-maug-b25188102/