In der Ära vor Erfindung der Mobiltelefone kümmerte sich Ma Bell – die größte Telefongesellschaft in den USA – um alles, was mit dem Telefon zu tun hatte. Wenn Sie ein Problem hatten, brauchten Sie nur einen Anruf zu tätigen, und jegliche Unterstützung war in der monatlichen Gebühr enthalten. Nach der Aufhebung des Monopols im Jahr 1982 wurden schnell neue Dienste eingeführt; aber das Leben wurde auch einige Jahre hindurch sehr viel unübersichtlicher: Wenn Ihr Telefondienst nicht funktionierte, lag das Problem dann am Telefon selbst? An der Innenverkabelung? An der Außenverkabelung? Und wie viele Anrufe brauchte es wohl, um das Problem zu beheben?
Die Zerschlagung des Bell-Konzerns war ein bedeutendes Experiment im US-Inlandsgeschäft und im Kartellrecht. Es veränderte die Telekommunikation von Grund auf und gestaltete das moderne Leben mit.
Inmitten eines ähnlichen Experiments befindet sich heute das Gesundheitswesen – in einem Wandel, der die Gesundheitsversorgung wahrscheinlich auf Dauer ebenso grundlegend verändern wird … in den USA ebenso wie beispielsweise in Deutschland.
Der Trend geht – jedenfalls in den USA – weg von einem Praxis- und Krankenhaus-zentrierten Versorgungsmodell, in dem Ärzte die zentrale Rolle spielen, hin zu einem kommerziell ausgerichteten Behandlungssystem. Es handelt sich hierbei um ein Experiment mit enormen Ausmaßen, das von den Verbrauchern vorangetrieben wird und das auf den Marktkräften beruht. Wie können wir also mit der beschleunigten Entwicklung des Gesundheitswesens Schritt halten, was den Versorgungszugang und das Behandlungsmanagement angeht?
Die Transformation des Behandlungserlebnisses in den USA
Wie hat sich die Gesundheitsversorgung im Laufe der Zeit verändert? Wenn ich vor ein paar Jahren eine Impfung brauchte, rief ich meinen Arzt an, um einen Termin zu vereinbaren. Heute buche ich online einen Termin im Walgreens-Shop, der nur wenige Straßen von meinem Haus entfernt ist. Wenn meine Mutter ein häusliches Monitoring für die Langzeitpflege benötigt, kann ich beim Einzelhändler Best Buy anrufen (und nebenbei ein neues Mobiltelefon kaufen). Wenn ich mit meiner Ärztin kommunizieren will, kann ich die sechs Instanzen der Patientenportal-App auf meinem Telefon durchsehen, um die App für ihre Praxis zu finden. Um meine Gesundheit proaktiv zu managen, kann ich im App-Store meines Handys nach einer App suchen, die eine ansprechende Beschreibung und gute Nutzerbewertungen hat. Oh, und wenn ich einen Notfall habe, erwarte ich immer noch, dass mein örtliches Krankenhaus bereit ist, sich sofort persönlich um mich zu kümmern.
Dank der Entwicklung der Gesundheitstechnologie ist dies alles sehr bequem geworden. In vielen Fällen ist es auch kosteneffizient. Aber bringt das insgesamt eine gute Gesundheitsversorgung? Das wissen wir noch nicht genau.
Telemedizin and virtuelle Behandlung
Gehen wir auf einen Aspekt der Entwicklung des Gesundheitsmanagements näher ein, der unter dem Einfluss von COVID-19 einen großen Sprung nach vorne gemacht hat: die Telemedizin. Eine US-Umfrage von McKinsey hat ergeben, dass 76 Prozent der Verbraucher mit hoher oder mäßiger Wahrscheinlichkeit in Zukunft virtuelle Behandlung in Anspruch nehmen werden.
Aber wissen wir, wann virtuelle Behandlung sich am besten eignet? Wann ist Behandlung in Präsenz am besten? Welche Mischung von Behandlungsmodalitäten, von Praxisbesuchen über Telemedizin bis hin zu vernetzten Geräten und KI-Bots liefert das optimale Ergebnis? Eine kürzlich durchgeführte Deloitte-Studie hat gezeigt, dass die am umfassendsten verfolgten Kennzahlen von virtuellen Gesundheitsprogrammen mit der Patientenzufriedenheit und der Nutzung zusammenhängen. Daten zur Qualität, zu den Ergebnissen oder zur Zufriedenheit der Kliniker werden weitaus weniger aggressiv gemessen.
Telemedizin wird in den USA von traditionellen Leistungserbringern, von Kostenträgern, als Zusatzleistung für Arbeitnehmer und von unabhängigen, direkt an den Verbraucher gerichteten Diensten angeboten. Dieses letztere, unabhängige Segment ist noch klein, wächst aber schnell, insbesondere bei jüngeren Gesundheitskunden. Wie stehen die Chancen, dass einer dieser unabhängigen Anbieter über ein ausreichendes Patientenaufkommen und genügend Längsschnittdaten über die Patienten verfügt, um aussagekräftige Studien auf der Suche nach dem optimalen Modell durchzuführen, während wir daran arbeiten, die Behandlungsmodalitäten auf die richtigen Patientenkohorten abzustimmen? Und – sind die Marktanreize darauf ausgerichtet, diese Antworten zu finden?
Neubewertung des Experiments
Unser traditionelles Gesundheitssystem hat viele Schwachstellen. Das neu entstehende System macht sich neue wissenschaftliche Erkenntnisse, neue Technologien, die Erfahrungen des Einzelhandels und die Wünsche der Verbraucher zunutze, um die Versorgung neu zu erfinden und Schwachstellen zu beseitigen. Die Herausforderung besteht darin, dass das entstehende System größtenteils nur Stückwerk ist und niemand das Ganze im Auge behält und bewertet.
Wir alle benötigen und wünschen uns jedoch diese Bewertung. Die Patienten möchten bei der Auswahl der Leistungen unterstützt werden, die für sie die besten Ergebnisse und den besten Nutzen bringen. Kommerzielle Gesundheitsdienstleister brauchen Daten über ihre Ergebnisse, um zu wachsen und auf dem Markt erfolgreich zu sein. Traditionelle Leistungserbringer benötigen Informationen, die ihnen helfen, die Elemente des entstehenden Systems zu übernehmen, die ihnen das Überleben ermöglichen. Und da wir ein gesellschaftliches Interesse an einer starken Gesundheitsinfrastruktur haben, liegt es an uns als Bürgerinnen und Bürger, das Ganze richtig anzugehen. Das bedeutet, dass wir in die Daten- und Informationsinfrastruktur investieren müssen, um zu dokumentieren, was funktioniert – und was nicht.
Generell gibt es im Moment mehr Fragen als Antworten. Wir werden in den nächsten Beiträgen noch einige weitere Überlegungen anstellen, aber vorerst möchte ich mit diesem letzten Gedanken schließen: Egal, wohin sich die Branche entwickelt, der Zugang zu Gesundheitsdaten wird eine entscheidende Rolle spielen, wenn es darum geht, inmitten des Wandels weiterhin eine optimale Versorgung zu gewährleisten.