Der Fördertatbestand 4 des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) zielt darauf ab, Klinikern und kliniknahem Personal bei der „Diagnostik-, Therapie- oder Medikationsempfehlung zum Zeitpunkt der Behandlung“ [i] an allen Stationen der Patientenreise (Vorstationär, akut und in Überleitung) mit Entscheidungsunterstützungssystemen zu assistieren und so zu einer Verbesserung der Qualität der Gesundheitsversorgung beizutragen. Thomas Nitzsche, erfahrener Medizininformatiker und Sales Manager bei InterSystems, erläutert im Gespräch mit Cornelia Wels-Maug, Journalistin und Analystin für Healthcare-IT, wie wichtig eine zukunftsfähige und ressourcenminimierende Datenstrategie für die Implementierung von Entscheidungsunterstützungssystemen ist.
Was genau ist ein Entscheidungsunterstützungssystem und für welche Art Entscheidungen können sie eingesetzt werden?
Thomas Nitzsche: Im Rahmen des KHZG wird auch die Anschaffung von Entscheidungsunterstützungssystemen gefördert, damit „wissenschaftliche Erkenntnisse schneller in der Praxis implementiert werden können“ [ii] und „die Prozessqualität der Behandlung“ [iii] und dadurch die Patientensicherheit gesteigert werden. Die Anschaffung eines Services für Entscheidungsunterstützung ist Ausdruck einer vorausschauenden Strategie, die die Steigerung von Qualität, Compliance und Patientensicherheit in den Mittelpunkt stellt.
Es handelt sich dabei um eine Software, die Daten sammelt, sie aufbereitet und Evidenz-basierte Handlungsempfehlungen generiert. Letztere befähigen Kliniker*innen und kliniknahes Personal, das Risiko, Patient*innen zu schädigen, zu verringern. Dabei gibt es eine große Bandbreite möglicher Anwendungsfälle dieser Systeme, die u. a. die Bereiche Diagnostik, Verordnungen, Arzneimitteltherapie, Verwaltung sowie Disease Management Programme umspannt. Konkret können solche Systeme beispielsweise als computergestützte Alarmierungs- und Überwachungsinstrumente, Dokumentationsvorlagen, Order Sets, Interpretationshilfen für radiologische Befunde oder klinische Workflow-Tools eingesetzt werden.
Ein erfahrener Kinderarzt sagte mir kürzlich, er hätte es sich ganz besonders als junger Arzt in der Notaufnahme gewünscht, auf ein Entscheidungsunterstützungssystem zugreifen zu können. Unter Einbezug eines solchen „neutralen Beobachters“ wäre es ihm rückblickend leichter gefallen, seine Diagnose- und Therapieentscheidungen mit den betroffenen Eltern zu besprechen und er hätte dann „nicht so viel schwitzen müssen“.
Ein Beispiel eines Entscheidungsunterstützungssystems, das auf der InterSystems HealthShare Lösung aufbaut, ist die im SMITH-Konsortium im Rahmen der Medizininformatik-Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung entwickelte HELP App. Sie ist als digitales Handbuch für Ärzt*innen auf Normal- und Intensivstationen gedacht, um die Abwesenheit eines Infektiologen zu überbrücken. Da diese rar sind, entstand die Idee, gemeinsam mit Infektiologen ein regelbasiertes System zu etablieren, das auf infektiologischen Erkenntnissen basiert, die bislang noch nicht in die klinische Routine aufgenommen waren. Ein weiteres Beispiel ist Northwell Health in den USA. Basierend auf HealthShare werden dort für jeden Patient im nahen zeitlichen Zusammenhang mit einem Arztbesuch verschiedene Risikosimulationen ausgeführt, mit deren Hilfe identifiziert wird, ob dieser eine erhöhte Wahrscheinlichkeit hat, dass sich sein Gesundheitszustand in der näheren Zukunft verschlechtert. Bei dem anschließenden Arztbesuch weisen Behandler*innen die so ermittelten Patienten auf die potenzielle Gefahr hin und schlagen die Teilnahme an einem Vorbeugeprogramm vor. Dadurch ist es gelungen, die Teilnehmerquote für relevante Programme von durchschnittlich 15 Prozent auf 80 bis 85 Prozent einer betroffenen Patientengruppe zu erhöhen.
Welche Anforderungen stellen Entscheidungsunterstützungssysteme an Daten?
Thomas Nitzsche: Entscheidungsunterstützungssysteme werden mit Daten „gefüttert“. Je mehr der medizinische Datenschatz wächst – insbesondere durch die rapide Zunahme medizinischen Wissens, das sich gegenwärtig alle 73 Tage verdoppelt, sowie der Einführung elektronischer Patientenakten hier in Deutschland – desto relevanter ist es, dass Kliniker*innen Systeme zur Seite stehen, welche die Vielzahl der Daten analysieren können, um so den Schatz an Daten auswerten und die Patientenversorgung verbessern zu können. Da Entscheidungsunterstützungssysteme sowohl externe als auch interne Daten verwenden, die direkt Patienten zugeordnet werden können, ist es wichtig, dass die Datenschutzanforderungen erfüllt werden und es sich um interoperable, vertrauenswürdige Daten handelt. Um zukunftsfähig zu sein, braucht ein Krankenhaus eine Datenstrategie, die die Daten ins Zentrum rückt. Sie müssen an der Quelle erfasst und anschließend dedupliziert, aggregiert, normalisiert, gemanagt und vernünftig bereitgestellt werden. Genau das ermöglicht die InterSystems HealthShare Lösung rund um den HealthShare Unified Care Record. Hier werden alle Daten konsolidiert und stehen standardisiert interoperabel für Geräte, Applikationen, Prozesse und Apps zur Verfügung. Mit diesen sauberen Daten kann man dann auch KI-Algorithmen zur Entscheidungsunterstützung laufen lassen.
Was bedeuten Entscheidungsunterstützungssysteme für die Krankenhaus-IT?
Thomas Nitzsche: Entscheidungsunterstützungssysteme werden für eine spezifische Anwendung entwickelt, z. B. OP-Planung, Vorhersage postoperativer Komplikationen, Kodiervorschläge, korrekte Arzneimittelanwendung oder auch Evidenz-basierte Behandlungsempfehlungen. Aber es gibt keine umfassende Lösung, die alle Entscheidungsdomänen abbildet. Daher wird sich ein Krankenhaus in der Regel für mehrere Systeme unterschiedlicher Hersteller entscheiden.
Für die IT heißt das, dass man verschiedene Schnittstellen braucht, die wiederum einzeln beantragt werden müssen. Es ist erforderlich, jede Anwendung an die Vielzahl von Datenströmen anzubinden und entsprechend eine Datenausleitungspipeline dafür zu bauen und im Nachgang zu betreuen. Letztere macht es möglich, dass Daten fließen können, denn die verschiedenen Anwendungen, Datenbanken und anderen Informationsquellen innerhalb eines Krankenhauses müssen in der Lage sein, untereinander Informationen auszutauschen, damit ein Datennutzungsprojekt wie ein Entscheidungsunterstützungssystem überhaupt mit diesen Daten arbeiten kann. Jede Anschaffung eines zusätzlichen Entscheidungsunterstützungssystems ist auch mit Integrationskosten verbunden, da man jedes Mal eine Datenpipeline neu einrichten und auch instandhalten muss.
Was ist InterSystems Beitrag zu klinischen Entscheidungsunterstützungssystemen?
Thomas Nitzsche: Unser Beitrag ist eine strategische Plattform, die Krankenhäusern ein strukturiertes Daten Repository anbietet. Sie ermöglicht den Häusern, die hauseigene IT-Strategie damit umzusetzen und multiple teil- oder vollautomatisierte klinische Services für Entscheidungsunterstützung darauf aufzusetzen. Aus IT- und kaufmännischer Sicht macht es Sinn, sich für einen zentralen, flexiblen und daher zukunftsfähigen Ansatz zu entscheiden: Der Integrationsaufwand sinkt bei jedem weiteren neuen Entscheidungsunterstützungssystem, da man die Datenpipeline nicht jedes Mal neu denken muss.
Wie schaffen wir das? Konkret stellt InterSystems HealthShare Unified Care Record (UCR) eine longitudinale Patientenakte zur Verfügung, die Daten und Schnittstellen jeglicher Art aus verschiedensten Primärsystemen über einen integrierten Kommunikationsserver erfasst und verwaltet. Es wird ein einheitliches und flexibles klinisches Datenmodell erzeugt, das potenzielle Datenqualitätsprobleme mittels bereitgestellter Funktionen wie Plausibilitätsprüfungen und Evaluationsmasken aufdecken kann. Gleichzeitig können integrierte Daten kuriert und Normalisierungen von Daten entweder vorgenommen oder vorgeschlagen werden. Dies geschieht u.a. durch Lookup-Tabellen, Valuesets, ConceptMaps oder der Verwendung von Terminologieservern mit integrierten Codierungssystemen. Das Resultat ist ein Daten Repository mit vertrauenswürdigen Daten.
In einem weiteren Schritt kann das Analytik Modul InterSystems HealthShare Health Insight diese bereitgestellten Daten mit integrierten Analytics- und Lösungskomponenten analysieren und Entscheidungen, Vorhersagen oder Prozesse intelligent steuern. Nutzern stehen Business Intelligence Tools mit vordefinierten Datenwürfeln, Pivottabellen und Dashboards, KPIs, Reports und Aktionsfeldern zur Verfügung. Dabei werden Daten aus dem gesamten klinischen Datenmodell zugrunde gelegt. Für die Optimierung von Entscheidungen und Workflows können Automatisierungsfunktionen und vordefinierte Module der Integrationskomponenten verwendet werden. Durch eine einfache Verknüpfung auch mit weiteren gewünschten externen Systemen zur Entscheidungsunterstützung kann Evidenz-basiertes Wissen zielgerichtet verwendet werden.
Im Gegensatz zu einem „Sammelsurium“ von Entscheidungssystemen kann HealthShare wie eine Art Stecksystem verwendet werden. Es ermöglicht Krankenhäusern, neue Dienste mit minimalem Aufwand anzubieten, ohne dass ein IT-Leiter invasiv in die Infrastruktur eingreifen muss. Von Vorteil ist, dass HealthShare schon ein Consent Management beinhaltet.
Da die Zukunft nicht monolithisch ist, ist es wichtig sicherzustellen, dass Installation und Wartung von Anwendungen und Diensten zentral erfolgen können. Mithilfe unserer Plattform kann ein Krankenhaus den Grundstein für die Digitalstrategie legen und wird dadurch bei der Evaluierung der Effizienz der Fördermaßnahmen einen verbesserten digitalen Reifegrad vorweisen können – und dies trifft nicht nur bei dem Fördertatbestand 4 des KHZG, sondern auch bei anderen Fördertatbeständen zu.
Kontakt: Thomas Nitzsche, Sales Manager, InterSystems E-Mail: Thomas.Nitzsche@InterSystems.com Mobil: 0173/7171801 LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/tnitzsche/
Autorin: Cornelia Wels-Maug, freie Healthcare IT-Journalistin & -Analystin
Cornelia Wels-Maug ist über 25 Jahre im IT-Sektor tätig und hat sich seit 2008 auf den Einsatz von IT im internationalen Gesundheitsmarkt spezialisiert. Sie verfasst Artikel, Fallstudien, Marketingunterlagen und Weißbücher über den weltweiten Markt für IT im Gesundheitswesen und hält Vorträge und Webinare als freie Journalistin. Gleichzeitig ist Cornelia seit 2016 auch als Analystin für den internationalen Gesundheitsmarkt bei der englischen Firma CCS Insight tätig. Zuvor arbeitete sie für Ovum Ltd., Mentis Corp. (jetzt Gartner Inc.) und BIS Strategic Decisions Ltd.
Cornelia ist Diplom-Volkswirtin und studierte an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/cornelia-wels-maug-b25188102/
[i] https://www.bundesamtsozialesicherung.de/fileadmin/redaktion/Krankenhauszukunftsfonds/20201201_Foerdermittelrichtlinie.pdf so gesehen am 23.09.2021
[ii] https://www.bundesamtsozialesicherung.de/fileadmin/redaktion/Krankenhauszukunftsfonds/20201201_Foerdermittelrichtlinie.pdf so gesehen am 23.09.2021
[iii] https://www.bundesamtsozialesicherung.de/fileadmin/redaktion/Krankenhauszukunftsfonds/20201201_Foerdermittelrichtlinie.pdf so gesehen am 23.09.2021